Mai 2023 - November 2023

Allison Honeycutt

Flesh Suits, 2023 Latex, Acrylfarbe, Synthetische Perücken-Segmente, Faser
Die Arbeiten der US-amerikanische Künstlerin Allison Honeycutt zirkulieren um Themen wie Scham und Nacktheit, Inszenierung von Schönheitsidealen und der Frage wer oder was als schön angesehen wird. Was ist Nacktheit? Wann irritiert Nacktheit? Wann ist sie unangemessen? Die Flesh Suits bestehen zum einen aus den Objekten BH und Slip, gleichzeitig zeigen sie aber auch explizit Körperliches, wie Intimbehaarung und Brustwarzen. Anstatt zu verdecken, präsentieren sie sexuell konnotierte Körperbereiche. Die an eine Perücke erinnernde übertriebene Intimbehaarung verleiht dem Ensemble eine ironische Komponente. Über ihre Arbeit sagt die Künstlerin: „Meine Absicht ist es nie, zu beleidigen oder zu schockieren, sondern die Betrachter*innen offener für die Nacktheit zu machen, indem sie sie mit Humor und Neugierde betrachten.“

Faiqa Sultani

Tasche (silber), 2022 There is no sign of life I don’t receive any signs from you – Poet: Rumi; Acryl und Glasfarbe, Baumwolle, Polyester
Tasche (gold/blau), 2022 I am who I am; Acryl und Glasfarbe, Baumwolle
Schal (weiß), 2022 Being human is a dream – Poet: Rumi; Polyester, bestickt
Schal (rot), 2022 Acryl und Glasfarbe, Polyester
Die afghanische Künstlerin Faiqa Sultani widmet sich in ihren textilen Arbeiten persischer Poesie. Kalligrafie, die Kunst des schönen Schreibens, war historisch in Afghanistan und Iran von wichtiger Bedeutung und wird bis heute auch von Künstler*innen in der Diaspora weiter gepflegt und in neue Schaffensprozesse übersetzt. Faiqa Sultani kombiniert für ihre Werke diese lang bestehende Kunstform mit Textilien in alltäglicher Gestalt, wie Taschen und Kleidungsstücken. Zitate aus Gedichten von Forugh Farrochzád und Rumi schreibt sie in Dari auf die Textilien und schafft so tragbare poetische Statements. Neben diesen setzt sie sich in ihrer figürlichen Malerei auch mit dem Alltag von Frauen in ihrem Heimatland auseinander und macht in Deutschland so seit 2022 auf die politische Situation in Afghanistan aufmerksam

Jessi Strixner

Menstruations Pantie, 2023 Linde, Acryl
Wet Pantie, 2020 Linde, Acryl, Lack
Die Münchner Holzbildhauerin Jessi Strixner bringt uns mit der Frage, was textile Kunst ist, an eine Grenze: Aus Holz bildet sie das Textile täuschend echt nach; ebenso inszeniert sie die achtlos ausgezogenen Slips. Zum Œuvre der Künstlerin gehört nicht nur die Nachbildung verschiedener Kleidungsstücke wie Jacken, Socken und Unterwäsche, sondern auch anderer alltäglicher Gegenstände, wie Post-its und Bananenschalen. Durch detailgetreue Darstellung von Form und Haptik schafft Strixner neue irritierende Eindrücke, die zu genauem Hinsehen anregen. Erst auf den zweiten Blick lassen sie Holz als ihr Material erkennen. Mit der Serie No More Taboos reiht die Künstlerin Slips mit Menstruationsblut und vaginalem Ausfluss in ihre Reihe alltäglicher Gegenstände ein, mit der Intention, sie als eben diese zu betrachten und nicht länger zu tabuisieren.

Gülbin Ünlü

dÜstopia, 2021 (Incorporated; Waiting for human extinction; Organised confusion) Leinwand, Tinte

In einer eigens für ihr Werk dÜstopia entwickelten Technik verbindet die in München lebende Künstlerin materiell Malerei und Druck. Sie trägt flüssige Tinte auf nasse Leinwände auf und schafft so eine hybride Malerei. Durch Form und Präsentation dieser Malerei, einem an Shirts erinnernden Umhang, wird sie in den Kontext der Mode übersetzt. Inhaltlich setzt sich die Künstlerin mit der Kommerzialisierung sämtlicher gesellschaftlicher Bereiche auseinander. Ihre Malerei wird in der Form des übergroßen T-Shirts selbst zum Produkt und zeigt Symbole verschiedener sozialer Bewegungen, die so wie Logos von Marken erscheinen. Wo beginnt ein Produkt, wie lässt sich eine Marke definieren und was passiert mit Persönlichkeiten in den sozialen Medien? Diese Fragen wirft Gülbin Ünlü mit ihrer performativen Arbeit auf. Darin wurden die Shirts von Künstler*innen in einer Art Prozession durch die Münchener Innenstadt, und vorbei an Modeläden, getragen.

November 2022 - Mai 2023

Aline Schwibbe

Fearless Flowers (I Move Through Chicago Like Honey), 2018 Graphit, Öl, Ölpastell und Stift auf Textil
back in heels, 2022 Digitaldruck, Ölstift und Pastell auf Samt
hips, 2022 Digitaldruck, Ölstift und Pastell auf Samt
Aline Schwibbe widmet sich in ihrem künstlerischen Schaffen immer wieder textilen Materialien und kombiniert diese mit eigenen Grafiken, Malereien und Videoarbeiten. Durch ihr Werk ziehen sich Fragen von Zugänglichkeit zu gesellschaftlichen Räumen und Teilhabe in der Gesellschaft. Schwibbe nimmt dabei eine feministische Perspektive ein. In ihrer Arbeit Fearless Flowers (I Move Through Chicago Like Honey) aus dem Jahr 2018 arbeitet die Künstlerin mit einem bekannten Kleidungsschnitt, dem Blazer. Der aus der Herrenbekleidung bekannte Jacke, die ebenso von Frauen getragen wird, haftet bis heute die Konnotation der formellen Garderobe an: der Hosenanzug als Symbol der Stärke und der Durchsetzungskraft von Frauen (auch) im Beruf. Aline Schibbe wählt gezielt scheinbar neutrale weiße Blazer für Ihr Werk, die sie mit schwarzer und goldener Ölpastelfarbe und Graphit bemalt. Die assoziative Bildsprache auf der Kleidung, die beispielsweise Fußabdrücke zeigt, vermittelt Zeugnisse von Anwesenheit oder stellt über subtile Referenzen zu Sicherheitskontrollen an Flughäfen, Verbindung zur wiederkehrenden Frage des Zugangs her. Zugang und Zusammenhalt werden außerdem durch die plastische Bearbeitung der Blazer dargestellt. In der Mitte durchtrennt, sind die Blazer an den Armen auf Höhe der Handgelenke mit Schleifen zusammengebunden. So formt die Künstlerin ein Bild der Verbundenheit zwischen Frauen, die sich Schulter an Schulter vereinen und sich gegenseitig stärken. Ein Bild, das für Aline Schwibbe gerade auch in der Kunst- und Kulturarbeit sehr bedeutend ist.

Susan Hensel

Toxic Nostalgia, o.J. Musselin, historische Spitze, Rost
Die Multimediakünstlerin Susan Hensel vereint in ihrem Œuvre eine Variation textiler Techniken. Dabei arbeitet sie u.a. installativ mit historischer Spitzenstickerei oder auch mit modernster Computertechnik für ihre oftmals intensiv farbigen Werke. Für Toxic Nostalgia kombiniert die Künstlerin weiße historische Spitzenstoffe, die an verschlissene und zum Teil zerrissene Kleidungsstücke erinnern. Die Spuren der Zeit, die sich auf dem durch Rost vergilbten Stoff zeigen, machen den Betrachter*innen deutlich, wie sich auch Erinnerungen der Träger*innen in die Textilien einschreiben können. Diese können fröhlich und positiv sein, ebenso aber auch Spuren von schmerzhaften Erfahrungen beinhalten. Die Künstlerin schreibt in den hellen Musselin mit der historisch bekannten Spitze, die mit weiblichem Handwerk in Verbindung gebracht wird, zunächst unsichtbare Botschaften ein. Erst durch gezielt auf die Stoffe gerichtetes UV-Licht sind Aussagen wie weak, hysterical oder don ́t worry your pretty little head für die Betrachter*innen zu erkennen.

Sophia Louise Roggenkamp

self-doubt fan scarf, 2021 100% Polyacryl, gestrickt
new, 2022 Verschiedene Garne, getuftet
Am I an artist? I ́m an artist. Am I an artist? I ́m an artist. Am I an artist? I ́m an artist. Am I an artist? I ́m an artist. Die Hallenser Künstlerin Sophia Louise Roggenkamp widmet sich in ihrer Arbeit self- doubt fan scarf der Auseinandersetzung mit dem künstlerischen Ich. Wer ist eigentlich Künstler*in und ist dafür die Selbstwahrnehmung oder die gesellschaftliche Rezeption ausschlaggebend? Bei der Antwortfindung bejubeln sich Tragende als Suchende, mittels Fan-Schal selbst.   In reinster Pop-Art-Manier bedient sich Sophia Louise Roggenkamp der Schlag- worte der Konsumkultur wie new und now in anderen Arbeiten auch Sale und Ange- bot, wodurch sie Aufmerksamkeit generiert und die Blicke der Betrachter*innen auf den Inhalt der Fenster lenkt. Nur ist hier das Objekt der Begierde der Werbeträger selbst. Die Kunst wird Werbemittel für sich selbst und stellvertretend auch für die Künstlerin. Ein weiterer Akt sich selbst zu bejubeln, in die Öffentlichkeit zu treten und Anerkennung für die eigenen Leistungen einzufordern.

Januar 2022 - November 2022

Sally Hewett

Fully Fleshed, 2021 Strech-Netzgewebe, Lycra, Polstermaterial, Quiltrahmen
Glorious Asymmetry, 2016 Lycra, Schaumstoffpolsterung, Stickseide, Stickrahmen
Allergic Reaction, 2019 Lycra, Polstermaterial, Stickrahmen
Putti, 2017 Lycra, Schaumstoffpolsterung, Stickrahmen
Petals, 2017 Lycra, Nylon, Schaumstoffpolsterun, Stickseide, Quiltrahmen
Die britische Künstlerin Sally Hewett thematisiert in ihren Stickarbeiten Körperrealitäten abseits etablierter Schönheitsideale. Für Hewett sind Körper Archive, in die sich Erlebtes einschreibt. Dehnungsstreifen, Brustamputationen, Narben und sogenannte Speckrollen stellen für die Künstlerin keine Makel dar, sondern „marks of life“ („Zeichen des Lebens“), die gezeigt und zelebriert werden sollen. Mehrere Lagen Lycrastoffe in verschiedenen Farben legt die Künstlerin in einem Stickrahmen übereinander, um die diversen Farbtöne der Haut zu kreieren. Diese zunächst zwei-dimensionalen Flächen bestickt sie und befüllt sie zuletzt mit Polstermaterial. Viele Arbeiten von Hewett zeigen die Folgen medizinisch notwendiger Eingriffe, die als Relikte eines gefochtenen Kampfes gegen Krankheiten sichtbar gemacht werden sollen. Welchen Einfluss haben gesellschaftliche Konventionen auf die eigene Körperwahrnehmung? Gibt es Merkmale, die objektiv betrachtet als besonders schön oder hässlich bezeichnet werden können? Dies sind Fragen, die sich Sally Hewett in ihrer künstlerischen Praxis stellt. So finden auch Körperteile nach Schönheitsoperationen Einzug in ihre Arbeiten. Es ist das Anliegen der Künstlerin reale Körper in ihrer Diversität und Individualität zu präsentieren und damit gesellschaftlich verzerrte Körperwahrnehmungen aufzuzeigen.

Sarah Schuschkleb

Jasmin, Thekela, Nymphe, Frau Winnetou, Aurora, Wassernixe, Medusa, Fifi, Wallburga, Hektor, Quallery, Captain America, Graf Funkel, Rapunzel, 2013 Mixed Media
Die Finger-Ringe der Künstlerin Sarah Schuschkleb spielen mit den Bewegungen der Träger*innen. Ihre langen, fadenartigen Strukturen schränken die Funktion der Hand ein. Gleichzeitig rufen sie den Wunsch nach neuen Bewegungen hervor, dem die Frage folgt, wie diese Fäden sinnlich bewegt werden können. Dabei wird nicht deutlich, ob die Hand dem Ring folgt, oder der Ring der Hand. Sarah Schuschkleb hat jedem Ring einen individuellen Charakter zugeschrieben, wie auch an deren erzählerischen Namen zu erkennen ist, so zum Beispiel: Medusa, Rapunzel und Captain America, welche an Charaktere eines Puppentheaters erinnern.

Ulla Stina-Wikander

Iron (aus der Serie "Untitled Set"), o.J. Bügeleisen, Kreuzstickstoff
Die Designerin und bildende Künstlerin Ulla-Stina Wikander sammelte über 10 Jahre Kreuzstichstickereien, die sie auf Flohmärkten und in Second-Hand-Läden fand. Die gewöhnlich von Frauen produzierten Stoffarbeiten, welche die Künstlerin zwischen Kitsch und textiler Handwerkstradition verortet, nutzt sie seit 2012 zur Be- oder Verkleidung von Haushaltsobjekten aus den 1970er Jahren. Die Stoffe schneidet Wikander in kleine Stücke und drapiert oder näht sie um Objekte wie Bügeleisen, Nähmaschinen oder Staubsauger. Mit dieser Verkleidung verändert sie die haptischen Eigenschaften der Haushaltsgeräte von kühlen Metall-und Plastikobjekte zu weich wirkenden textilen Gebilden. Zugleich entzieht sie ihnen den funktionalen Charakter und verwandelt sie in ästhetische Ausstellungsstücke.

Hansinger (Johannes Geitl)

o.T., 2019 Polyesterfilz, foliert
o.T., 2020 Stretchlack, wattiert
Mit dieser steif wirkenden und außergewöhnlichen Bolero-Jacke schafft der Designer Johannes Geitl ein Kleidungsstück, das die menschliche Körperform darunter kaum erahnen lässt. Der glänzende Stoff verstärkt durch die Lichtreflexion die Körperbewegungen. Die Jacke ist Teil eines auffälligen Bühnenkostüms, dass Geitl für die Dragqueen Janisha Jones zum Anlass ihres Auftritts während des Superball Amsterdam im Jahr 2019 gestaltete. Der Superball in Amsterdam wird in Rückbezug auf die sogenannte ball culture der 1920er Jahre in New York veranstaltet. In jener Zeit organisierten marginalisierte homosexuelle Gruppen sogenannte Bälle, bei welchen auf Laufstegen um Preise und Trophäen in unterschiedlichen Kategorien gelaufen und getanzt wurde. Große Bekanntheit erlangten diese Art der Tanzveranstaltungen in den 1990er Jahren nicht zuletzt durch den expressiven Tanzstil des Vougings, mit dem sich auf friedliche Weise von den konkurrierenden Rivalen abgesetzt wurde. Auch Madonna präsentierte in ihrem Lied Vogue diesen Tanzstil und verbreitete ihn so in der Popkultur. Spitze, ohrenähnliche Formen und Stacheln auf einer übergroßen Kapuze umgeben den Kopf der tragenden Person. Breite Ärmel und ein weiter, in der Taille zusammengebundener Umgang bedecken den nackten Oberkörper und reichen gerade bis zur oberen Hälfte der Oberschenkel. Der Designer Johannes Geitl greift mit diesem Kostüm die japanische Fanpraxis des Cosplays auf. Dabei imitieren Fans Charaktere aus Mangas, Videospielen, Animes oder anderen Medien in Aussehen und Verhalten möglichst originalgetreu. Während dieser Rollenspiele bei Wettbewerben und weiteren Events werden Geschlechtergrenzen aufgehoben. Die Vermischung verschiedener Figuren ist möglich. Inspiriert von einer Zeichnung des amerikanischen Illustrators Zach Brunner, der das Aussehen eines Wesens aus der Fanatsiewelt der Pokémon-Videospiele der 1990er Jahre an den menschlichen Körper anpasst, gestaltet Geitl das Kostüm aus Stretchlack. Dieses ermöglicht in die Rolle des Gengar Pokémons zu schlüpfen, der durch Gift und geisterhafte Kräfte seine Widersacher bekämpft.

Veronika Weber

Sternenschaukel, 2019 Mischtechnik
Veronika Webers Sternenschaukel fasziniert durch ihre romantisch-kindlichen Elemente. Der Titel des Werks lässt Betrachter*innen sich in die glitzernden Weiten der Unendlichkeit träumen – das Schaukeln ist weithin als Sinnbild für Leichtigkeit und infantiles Glück bekannt. Das Objekt hat neben der im Titel anklingenden Funktion der Schaukel noch eine weitere: Es stellt optisch eine überdimensionierte Stirnlampe dar. Diese ist zumeist unerlässlich, um sich nachts in der Natur zu bewegen. Neben der Form des Leuchtkörpers vermittelt besonders das farbenfrohe Nylonband, den Bezug zum Outdoor-Equipment. Mit dieser Arbeit verweist die Künstlerin auf die Ambivalenz der Kapitalisierung einer romantischen Vorstellung von Natur. Ein (käufliches) Objekt aus Kunststoff scheint der Schlüssel zum Glück zu sein: Eine Schaukel, die Schweben unter freiem Himmel erlaubt und gleichzeitig den Weg in die Nacht erleuchtet, als unmittelbaren Zugang zur Natur.

Antonia Kemper

Martian Frack, 2018 Polyester, Azetat
Auch der Mantel von Antonia Kemper verfolgt eine eindeutige Schutzfunktion, ist er doch in seiner Gesamtheit ein Reflexionsobjekt, das den Träger oder die Trägerin vor verschiedenen Gefahren zu schützen versucht. Der Martian Frack ist gestaltet worden, um ihn auf dem Mars zu tragen. Um den widrigen Umständen vor Ort trotzen zu können, setzt die Künstlerin auf Übertreibungen. Er ist zu stark wattiert, zu lang, zu stark reflektierend. Die klassischen Elemente des Kleidungsstücks sind zwar deutlich erkennbar, aber abstrahiert und abgewandelt. Der Reflektorstoff spiegelt das Traumhafte und Unwirkliche – seine Farben, die durch Reflexionen entstehen und sich so ständig wandeln, sind kaum wirklich begreifbar.

Rike Droescher

My heart beats in my breat (no fear), 2021 glasierte Keramik, Gummiseil
My heart beats in my breat (fast rider), 2021 glasierte Keramik, Gummiseil
Was geben wir von unserem privaten, intimen Raum preis? Was bringen wir in den öffentlichen Raum ein? Welche Schutzräume werden erhalten? Ist das Fenster selbst Innen- oder Außenraum - privat oder öffentlich? Ist es ein Raum, der vor der Umwelt schützt, oder in dem man sich schützen muss? Inwieweit gibt das Fenster Einblicke in den privaten Raum? Und was sehen wir, wenn wir nach draußen schauen? Die Künstlerin Rike Droescher spielt mit dieser Unsicherheit des Raums. Kleidung wird im eigenen Zuhause häufig achtlos auf den Boden geworfen. Die textile Struktur ist von dieser Handlung nicht zu beeindrucken. Rike Droeschers „Statement“-Shirts aus der Arbeit My Heart Beats in My Breast wurden in Keramik gegossen und verlieren damit ihre textilen Eigenschaften. Durch die Veränderung ihrer Materialität sind sie, wenn man so will, verwundbar geworden. Slogans und Aufschriften, wie „Fast Rider. Burnout Lane“, weisen auf kapitalistische Selbstausbeutung hin und greifen den Druck, die eigene Identität, Optimierung und Effizienz fortgehend unter Beweis stellen zu müssen, auf.

September 2021 - Januar 2022

Helena Hafemann

Restauration (Serie), 2020 Porzellan, Garn
Grundlage ist kein IKEA-Standartteller, der nach vielen Malen der Nutzung gebrochen, quasi verbraucht ist. Vielmehr handelt es sich um ein Porzellan, das aller Wahrscheinlichkeit nach nur zu besonderen Anlässen die Tafel zieren durfte und trotzdem auf Grund seiner Fragilität zerbrochen ist. Helena Hafemann versucht in ihrer Arbeit Restauration (Serie) nicht das geschätzte Objekt unauffällig zu reparieren und konservieren. Vielmehr offenbart sie bewusst die Alterserscheinung. Die Künstlerin nimmt die Farbigkeit des Tellers auf und vergrößert die Bruchstelle optisch. Fast scheint es, als würde die Farbe auslaufen. Statt den Teller zu kleben und ihn im Alltag weiter zu nutzen, unterstreicht sie seine besondere Stellung und stellt diese zur Schau: Nun nicht mehr auf dem Tisch, sondern an der Wand. Die Fäden werden nicht zu einem Gewebe verbunden, sie verdeutlichen vielmehr die Fragilität des Objekts und mit ihnen wird aus dem Gebrauchsgegenstand ein Kunstwerk geschaffen.

Paula Holzhauser

Freitags isst man Fisch, 2020 Draht, Angelschnur, Polyester
Auch Paula Holzhauser widmet sich in ihrer Arbeit Freitags isst man Fisch dem Alltag auf dem Esstisch – konkret dem Inneren einer Sardinenbüchse. Dabei setzt sich die Künstlerin besonders mit der haptischen Wirkung von Textilien auseinander. Textilien werden üblicherweise zunächst mit Wärme und Weichheit assoziiert, nicht aber mit der feuchten und kalten Oberfläche eines toten Fischs. Paula Holzhauser wählt nach eingehender Farbanalyse verschiedene Garne aus, mit welchen sie Gewirke gestaltet. Diese bilden Fischhaut täuschend realistisch nach. Sie bricht mit den Sehgewohnheiten der Betrachter*innen und präsentiert die textile Materialität der Arbeit erst auf den zweiten Blick.

Lili Anschütz

Manifeste du Rio Negro, 2021 Textildruck auf Voile (Baumwolle)
Während ihrer Recherche zu Wäldern als historische und gegenwärtige Lebensräume, setzte sich die Bühnenbildnerin Lili Anschütz intensiver mit dem Manifeste du Rio Negro (1978) des französischen Kunstkritikers Pierre Restany auseinander, das während einer Reise in Brasilien und unter Mitarbeit der Künstler Frans Krajcberg und Sepp Baendereck entstand. Der Blick jener Zeit auf die Natur und die künstlerische Auseinandersetzung mit dieser hat Lili Anschütz dazu geführt, ihre Recherche zu Wäldern hin zu Fragen nach pflanzlichen Urformen zu erweitern. In der hier gezeigten experimentellen Arbeit lässt sie (Ur)bäume in abstrahierter Form auf dem leicht transparenten Stoff horizontal wachsen und verleiht ihnen durch die fließende stoffliche Qualität des Voile eine leichte optische Bewegung. Die intensiven Farben lassen sich diesen Stoff sehr gut in dem Kontext selbst eines großen Bühnenbildes vorstellen.  

Kat Válastur und Leon Eixenberger

Bühnenbild zu Diana Even, 2021/2022 Gewachste Baumwolle, Erde
Von der Decke hängen Stoffbahnen, die auf dem mit Erde belegten Boden Falten werfen. Sie erinnern an Bäume, ergeben in ihrer Anordnung einen Wald, in dem die Tänzerinnen sich bewegen. Durch die Versiegelung der Oberfläche des Stoffes mit Wachs, ist es aber nicht nur die Assoziation mit Bäumen, die sie auslösen, sondern auch die mit der Haptik von Tierhäuten, die von der Decke abhängen. Vier Tänzerinnen und vier Sängerinnen interpretieren die Geschichte der Jagdgöttin Diana (Artemis), die von Aktaion, dem Jäger, beim Bad erblickt wird, in diesem Bühnenbild neu. In dem Stück werden Nacktheit beim Bad, Jagd, Gejagtwerden Verwandlung und Tod tänzerisch verarbeitet und in einen weiteren Kontext unserer Gegenwart übersetzt. Dabei können sich die Betrachter*innen ihres eigenen Blickes und des darin erhaltenen Machtverhältnisses bewusst werden, wenn sie in beinahe voyeuristischer Art auf nackte Tänzerinnen blicken. Assistenz Bühnenbild: Cecilia Nercasseau Gibson Modell: Matteo Marangoni Premiere im Januar 2022 im HAU, Berlin

Anna Greckl

Plexus Solaris, 2020/2021 Cyanotypie auf Baumwollstoff
In Anna Greckls Arbeit wird das textile Medium zum Träger ungewöhnlicher fotografischer Bilder. Mittels der Technik der Cyanotypie wird der Stoff durch Chemikalien zunächst lichtempfindlich gemacht und später dann gezielt im Tages- licht belichtet. Der Körper der Künstlerin, der in unterschiedlichen Posen die textile Fläche zum Teil verdeckt und so vor dem einfallenden Licht schützt, bildet sich in dieser fotogrammatischen Arbeit hell auf dem Textil ab. Im Alltag werden Textilien in Form von Kleidung gezielt eingesetzt, um einen Einfluss auf den menschlichen Körper zu haben und Botschaften zu vermitteln. Sie dienen dem Schutz, der Formierung und der Präsentation des Körpers oder bestimmter Botschaften. Anna Greckl spiegelt dieses Konzept: Ihr Körper nimmt Einfluss auf den Stoff, definiert das Muster und gibt dem Stoff eine gewisse Gestalt. Dieses Abbild ihres Körpers auf dem Stoff ist nicht nur ein räumlich, sondern auch ein zeitlich bedingtes. Selbst an sonnigen Tagen kann die Belichtung der Oberfläche mindestens 7-20 Minuten dauern, diese Zeit regungslos in den Körperhaltungen zu verharren ist unmöglich. Schatten, Überschneidungen und Ausdehnungen des Körperbildes zeigen die Bewegung der Künstlerin und fixieren die Zeit der Belichtung.

Vanessa Josefine Lurtz

Don’t Collapse, 2019 Lycra-Jersey mit thermoaktiven Pigmen- ten im Siebdruckverfahren bedruckt
Zuschreibungen an weibliche Körper und körperliche Begebenheiten dekonstruiert Vanessa Josefine Lurtz in der Kollektion Don’t Collapse. Dem oftmals von Frauen empfunden Gefühl der Schwäche und des Kleinseins stellt die Künstlerin kraftvolle Elemente der Natur zur Seite, ohne dabei die Formen der Körper zu negieren. Elastischer Jerseystoff schmiegt sich um den menschlichen Körper. Die Ockerfarbe sowie die durch das Siebdruckverfahren mit thermoaktiven Pigmenten entstandene Struktur verleihen dem Kleid die Anmutung der groben Rinde eines Baumstammes, der stabil verwurzelt geradlinig in die Höhe ragt.

Meike Schmitz

Avocado Tasche Leinengarn gefärbt mit grüner Erde, Jute gefärbt mit Avocado
Bananen Bauchtasche Bananenfaser mit Seidengarn, gefärbt mit Kurkuma und Brennessel
In ihrem Projekt mindfull packaging setzt sich die Künstlerin Meike Schmitz mit Anbau, Reife, Transport und Handel von Luxuslebensmitteln wie exotischen Früchten auseinander. Nicht immer sind wir uns der fernen Herkunft dieser Früchte, die wir tagtäglich in den Supermärkten sehen, bewusst, weniger noch wissen wir oftmals über Anbau und Transport dieser. In den eigens für die jeweiligen Früchte gefertigten Taschen, verarbeitet Schmitz das Wissen darum. Für die Avocado Tasche näht die Künstlerin Juteschnüre, die sie zuvor mit Avocado gefärbt hat, aneinander und knüpft zwischen ihnen ein Netz aus Leinengarn, das mit grüner Erde gefärbt ist. Mit dieser Handarbeit verweist Schmitz indirekt auf die Wasserprivatisierung sowie die Medienbilder des Nebeneinanders von Flächen ausgetrockneter Erde und künstlich angelegten fruchtbaren Plantagen. Die Bananen Bauchtasche besteht aus Bananenfasern, die von der Künstlerin übereinandergelegt und mit Seidengarn verbunden sind. Nach der Konfektionierung der Tasche wird diese mit Kurkuma und Brennessel gefärbt und erhält so einen Farbverlauf, der auf die Reifegrade der Banane hinweist: Grün im Importland angelangt, werden sie mit einem Reifegas besprüht, bevor sie gelb im Supermarkt liegen.

Leon Schoofs

Seesack, 2018 Kalbstleder (gefettet), Canvas (gewachst)
In einer Welt, in der Produkte immer billiger werden und auf Kurzlebigkeit ausgelegt sind, entwickelt Leon Schoofs ein modulares Gegenmodell zu kurzfristigem Konsum und ergo eine materielle Grundlage für nachhaltiges Reisen. Der Wunsch: Ein Rucksack, eine Tasche, die in allen Lebenslagen selbstständig repariert werden kann und potentiell ewig hält. Die Auswahl möglicher Komponenten, auf die er bei seiner Suche stößt: Ein Sammelsurium aus Synthetikverbundmaterialien, deren Einzelteile im Falle eines Defekts ausgetauscht und entsorgt werden müssen. Sein Seesack bietet durch die beständigen, näh- und austauschbaren Materialen eine ebenso funktionale, wie nachhaltige Alternative. Durch eine Skateboard-Halterung kann er bei schwerer Last auf einem solchen befestigt und gezogen werden. Gleichzeitig ermöglicht das Skateboard als Transportmittel eine autarke und ökologische Reise.

Ýrúrarí

Hljómsveitt, o.J.
Die Pullover Hljómsveitt sind in Kooperation mit dem Rap-Duo Hljómsveitt entstanden. Die beiden Musikerinnen besingen Feminismus und freie, ungezwungene Sexualität. Im Zentrum der hier gezeigten Arbeiten steht der weibliche Körper, der auf eine Art präsentiert und zelebriert wird, die nicht den gängigen, enthaarten Schönheitsidealen der Werbe- und Modeindustrie entspricht. Mittels der handwerklichen textilen Verarbeitungstechniken (Sticken und Stricken), die auch heute noch weiblich konnotiert sind, hinterfragt Ýrúrarí weibliche Körperideale. Foto: Antonía Lárusdóttir Hljómsveitt: Katrín Helga Andrésdóttir and Anna Tara Andrésdóttir

Cordula Schieri

I Arthandle You, 2020 Westen für "messy history lesson" in der Inszenierung von Caroline Kapp
Mit geschlechtsspezifischen Zuschreibungen im beruflichen Umfeld setzt sich Cordula Schieri auseinander. In dem von Männern dominierten handwerklich- technischen Museumsbereich arbeitet die Künstlerin ausschließlich mit Kollegen zusammen. Mit ihrer Interpretation technischer Zeichnungen macht sie aufmerksam auf die Ausrichtung und Gestaltung der Werkzeuge und Hilfsmittel, die sich oftmals nach Männerkörpern richten. Einige der Zeichnungen lässt die Künstlerin auf scheinbar gesteppten Stoff drucken. Die Farbigkeit sowie Schnitt und Material der Westen, die aus diesem Stoff genäht werden, lassen eine Spannung zwischen dem leicht wirkenden fliederfarbenem Grundstoff, der in Rosatönen bedruckt ist, und den groben Schnallen auf den an Arbeitswesten erinnernden Kleidungsstücken entstehen.

Tex Rubinowitz

Stickstoffe, 2021 Stoffreste, weggeworfene Textilien, Garn, Farbe

Tex Rubinwoitz, bekannt für seine Karikaturen und Texte, widmet sich in seiner neuen Werkreihe Aspekten des Textilen. Aus Stoffresten, weggeworfenen Heimtextilien und farbigem Garn sowie Farbe schafft er sogenannte Stickstoffe. Humorvolle, rätselhafte, sinnfreie und auch sehr sinnhafte Gedanken, Scheinsprichwörter und Gedankenfetzen, malt und stickt der Künstler auf zusammengenähte Stoffe. Mit mehrfachen Nähten schafft der Künstler unterschiedliche Schriftdicken, die durch die aufgetragenen Farbstoffe unterstützt werden. Ober- und Unterfäden bleiben unvernäht und wirr an den Buchstaben und ihren Enden hängen und erweitern so das Schriftbild in den Raum. Die scheinbar schnell von Hand geschriebenen Wörter, die kurze Aussagen und Aufforderungen formulieren, erinnern an Transparente und in ihrer Zusammenstellung an Relikte verschiedener Demonstration.